Ruhe finden in der Achterbahn des sozialen Unternehmertums

Category Well-being

Im Gespräch mit Christina Purrer, Gründerin des Weltkindernetzwerks und Projektleiterin der Hil-Foundation.


Leider sind Sozialunternehmer*innen oft mit großem Stress und einem hohen Burnout-Risiko konfrontiert. Diese Woche haben wir uns mit Christina Purrer, Gründerin des Weltkindernetzwerks und Projektmanagerin bei der Hil-Foundation, zusammengesetzt. Christinas Bestreben, positive Veränderungen herbeizuführen, hat sie auf eine Entdeckungsreise in Sachen Wohlbefinden mitgenommen: Von persönlichen Motivationen, Stärken und Praktiken bis hin zu einem systemischen Verständnis von Wohlbefinden und Veränderung hat sie sich einen offenen Geist bewahrt, um ihre eigene innere Arbeit zu hinterfragen, zu erforschen und tiefer zu gehen.


Erzähle uns ein wenig über dich und was es mit deinem Projekt Weltkindernetzwerk auf sich hat!


Mein Name ist Christina, ich bin Alumna des Social Impact Award Austria 2016, einem Programm zur Unterstützung junger Sozialunternehmer*innen, und die Gründerin des Weltkindernetzwerks, im Rahmen dessen wir Kinderbetreuung für Familien mit Flüchtlingshintergrund organisiert haben. Leider haben sich nicht genügend Menschen für unser Angebot gemeldet, sodass wir beschlossen haben, das Projekt nach meinem Masterabschluss einzustellen.


Jetzt arbeite ich bei der Hil-Foundation, wo wir Menschen mit geringen Möglichkeiten unterstützen, ihr Leben selbstbestimmt zu führen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die psychische Gesundheit und die Selbstfürsorge: Gemeinsam mit Social Impact Award haben wir ein Programm entwickelt, um Wohlbefinden als zentrales Thema in Inkubations- und Accelerator-Programmen einzuführen.


Wie bist du auf das Thema Wohlbefinden gekommen? Warum ist es für dich persönlich wichtig, über den Ansatz der Hil-Foundation hinaus?

Als ich am Social Impact Award teilnahm, hatte ich das Thema noch nicht so sehr im Kopf. Ich hatte Leidenschaft, Energie und ich wollte die Welt verändern. 2017 nahm ich einen Job in Deutschland an, bei dem ich mit Geflüchteten arbeitete, deren Asylantrag abgelehnt worden war und die in ihre Herkunftsländer zurückkehren mussten. Das war nicht nur psychisch sehr herausfordernd, es war auch ein Pilotprojekt, was viel Unsicherheit, viele fehlende Strukturen etc. bedeutete.


Ich hatte zu viele schlaflose Nächte und zu viele Ängste und bin schließlich daran zerbrochen. Ich begann, meinen inneren Antrieb und meine Motivation, etwas zu bewirken, anzuzweifeln und stellte mir Fragen wie "Ist es gesund für mich, diesen Antrieb zu haben? Stimmt damit etwas nicht?" und so weiter.


Was hast du durch diese Infragestellung herausgefunden? Und wie bist du zur Stabilität zurückgekehrt?


Ich hatte bereits Erfahrung mit Meditation, was mir sehr geholfen hat. Ich begann, jeden Tag ein Tagebuch zu führen und schrieb kleine Dinge auf, die mir Freude bereiteten, wie "Ich war spazieren, habe Blumen gepflückt usw." Ich durchlief auch einen umfassenden Therapieprozess, der eine wichtige Rolle dabei spielte, mich wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Auch wenn ich mich schämte, um externe Hilfe zu bitten, wusste ich, dass ich sie brauchte, und es war ein Akt der Selbstliebe, diesen Prozess voranzutreiben. Ich habe auch angefangen Gedichte zu schreiben.


Es kommt sehr häufig vor, dass wir Sozialunternehmer*innen uns selbst zu weit treiben. Viele von uns neigen zu der Einstellung, dass wir die ganze Welt auf unseren Schultern tragen müssen. Hast du bei deiner Selbstbeobachtung irgendwelche Erkenntnisse darüber gewonnen, warum wir dieses Verantwortungsgefühl haben, das so oft zum Burnout führt?


Ich denke, dass wir sehr stark von dem Umfeld beeinflusst werden, in dem wir aufwachsen, von unserem familiären Umfeld bis hin zu unseren Werten. Mein Vater war immer sehr ehrgeizig und wollte unbedingt Veränderungen herbeiführen, und das hat sich auf mich übertragen, als ich aufwuchs. Außerdem wurde ich in der Schule gemobbt, weil ich gute Noten hatte und als "uncool" galt. Damals wurde ich oft ausgegrenzt, und ich denke, dass dies zum Teil zu meinem Interesse an Antidiskriminierung und Integration geführt hat. Außerdem hatte ich mit 14 Jahren einen Freund, der aus Nigeria geflüchtet ist, und mit 17 habe ich ein Praktikum zu diesem Thema gemacht. Das alles hat mir mehr Empathie für die Menschen gegeben, die nach Österreich kamen und diskriminiert wurden, während sie versuchten, sich zu integrieren.

Studien zeigen, dass viele Changemaker selbst eine Art von Schmerz erlitten haben, was eine tiefere Motivation schafft, das Problem zu lösen, das sie verletzt hat. Es führt auch zu einer hohen persönlichen Identifikation mit der Arbeit, was riskant sein kann.


Wie stehst du heute zum Thema Wohlbefinden, nachdem du all diese Erfahrungen gemacht hast?


Die Position, die ich im Bereich des sozialen Wandels einnehmen möchte, hat sich in den letzten Jahren ziemlich drastisch verändert. Zuerst wollte ich bei den Visionär*innen  im Rampenlicht stehen. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das nichts für mich ist, weil es mir unangenehm war, ständig zu versuchen, meine Arbeit zu "verkaufen". Jetzt, wo ich mich etwas mehr im Hintergrund halte, fühle ich mich viel wohler, und ich kann alle möglichen Leute treffen und mit ihnen in Kontakt treten, während ich an einer Vielzahl von Projekten arbeite. Ich denke, ein großer Teil der Förderung des eigenen Wohlbefindens besteht darin, seine Nische und seinen Rhythmus zu finden.


Das hängt auch davon ab, was für einen die größte Bedeutung hat. Wenn man glaubt, dass sein einziger Lebenszweck darin besteht, mit seiner Arbeit etwas zu bewirken, wird man sich schnell in einer schwierigen Situation wiederfinden. Ein netter Abend mit Freund*innen oder das Singen in einem Chor zum Beispiel kann auf seine Weise ebenfalls sinnvoll, ja sogar wirkungsvoll sein.


Du kennst Netzwerke von innen, daher kann ich mir vorstellen, dass du sehr genau weißt, wie die Berichterstattung über das Wohlergehen heutzutage aussieht. Wie wird sich deiner Meinung nach das soziale Unternehmertum im Hinblick auf das Wohlbefinden in Zukunft verändern?


Ich sehe eine große Verbindung zwischen Wohlbefinden und Zusammenarbeit. Ich glaube, dass eine engere Zusammenarbeit zum Wohlbefinden beiträgt - und umgekehrt. Wenn man das Gefühl hat, dass man der oder die Einzige ist, der/die die Welt verändern kann, wird man unweigerlich ausbrennen.


Die innere Arbeit wird einem helfen, den Druck von sich selbst zu nehmen. Das wiederum macht es einem leichter, Aufgaben und Verantwortung zu delegieren und besser zusammenzuarbeiten (der Forschungsbericht des Wellbeing Project hat sich mit diesem Zusammenhang eingehend befasst, er ist sehr interessant). Soziale Unternehmen konkurrieren auch oft miteinander, um ähnliche Probleme zu lösen. Die Zusammenarbeit und die Verteilung der Verantwortung auf mehr Schultern wird wirklich helfen, den Druck zu verringern. Wenn dein Vorhaben scheitert, wirst du dir nicht persönlich die Schuld geben, wenn du das breitere Netz siehst, das zu diesem Punkt geführt hat.


Ich hoffe, dass die Menschen bei ihrer Arbeit in Zukunft einen breiteren Blickwinkel einnehmen und wirklich das ganze System betrachten. Ich bin davon überzeugt, dass wir (selbst-)fürsorgliche Mitstreiter*innen und keine Einzelkämpfer*innen brauchen, um einen systemischen Wandel herbeizuführen.

Das Potenzial der Jugend steigern, Veränderungen herbeizuführen